Predigt von Bischof Bertram Meier beim Abendmahlsgottesdienst am Gründonnerstag 2022 im Dom

„Die Kirche der Schürze im Service der Welt“

Was ist das typische Kleidungsstück eines Priesters? Die einen werden sagen: das Priesterkollar, ob eher deutsch als Oratorianer oder mehr römisch als hoher Stehkragen. Vor allem die junge Generation des Klerus legt wieder besonderen Wert darauf. Die anderen denken an eine schalartige Textilie, die der Priester anlegt, wenn er offizielle Amtshandlungen vollzieht: die Stola.

Die Stola gehört zur Grundausstattung eines Neupriesters. Es ist fast selbstverständlich, dass ein Primiziant von seiner Verwandtschaft oder von seiner Heimatgemeinde eine Stola geschenkt bekommt: diesen um den Nacken gelegte schmale, edle, prachtvolle Schal, oft edel bestickt und mit Silber- und Goldfäden durchwirkt.

Stola: ein Kleidungsstück, dessen Sinn wir näher betrachten wollen. Blicke ich auf die griechische Bedeutung, dann stoße ich auf das Wortfeld von „Schutz“ und „Rüstung“. Fragen stellen sich: Ist der Priester wesentlich einer, der sich schützen muss? Ist er einer, der unverwundbar sein soll – oder unberührbar? Muss er eisern sein und hart, unbeweglich und unnachgiebig? Ist der Priester vornehmlich dazu da, Bastionen des Glaubens und Räume des Heiligen vor der Welt zu schützen und vor dem Profanen zu verteidigen?

Wenn ich die lateinische Bedeutung von Stola freilege, dann zeigt sich ein Mann im langen Talar: der Flötenspieler am Fest der Minerva, der Göttin der taktischen Kriegsführung, des Schiffsbaus, des militärischen Wissens und der Strategie. Es ist der kultische Flötenspieler, der sein Instrument zum Klingen bringt, um Krieg und Sieg gebührend zu feiern. Was haben griechische und lateinische Bedeutung der Stola gemeinsam? Beide stammen aus dem heidnischen Bereich. Religionen haben es an sich, dass sie Orte, Zeiten und Personen absondern und für heilig erklären, d.h. sie aus dem Alltag herausheben und zu etwas Besonderem machen. Es darf nicht an Zeichen fehlen, die das Besondere oder den Herausgehobenen auszeichnen: beim Priester die Stola. Engelbert Groß (1938-2020) hat sehr pointiert formuliert, dass diese Zeichen signalisieren: „Achtung! Hier ist Verehrung, hier ist Distanz vorgeschrieben. Hier gilt Kniebeuge und hier erscheint Hochwürden. Hier handelt Seine Heiligkeit. Hier sind Abgaben fällig.“ Fast boshaft klingt das, aber so ganz abwegig ist diese Beobachtung nicht. „Religion ist der Bereich, in dem das ‚Gesetz der Stola‘ gilt, und das verlangt Hochschätzung und Unterwerfung.“ Priester werden hochstilisiert zu heiligen Personen im sakralen Ornat, sie repräsentieren den geheimnisvollen, fernen Gott und bringen ihn gleichzeitig nahe. So hat die Kirche ihre Kleriker mit der Stola eingekleidet.

Doch bleiben wir nicht bei unserer Analyse stehen. Schauen wir auf Jesus: Er kannte weder Stola noch sonstige besondere Textilien. Sein „Amtszeichen“ ist etwas Anderes. Ich erinnere an den Bischof von Molfetta Tonino Bello (1935-1993), der über die Stola schrieb: „Was nicht im liturgischen Kleiderschrank hängt und noch nie einem Priester zur Weihe geschenkt worden ist, davon berichtet das Johannesevangelium in der Erzählung von der Fußwaschung.“ Da Jesus die Seinen liebte, die in der Welt waren, liebte er sie bis zur Vollendung. Es fand ein Mahl statt. Jesus stand vom Mahl auf, legte sein Gewand ab und zog sich eine Schürze (Leinentuch) um. Dann goss er Wasser in eine Schüssel und begann den Jüngern, die Füße zu waschen und mit der Schürze abzutrocknen. - Begreift ihr, was ich an euch getan habe?“ (vgl. Joh 13, 1. 3-5. 12)

Das liturgische Kleidungsstück bei der ersten Messe, die Jesus feiert, ist keine Stola, sondern eine Schürze, ein Arbeitskittel. Über die erste Eucharistiefeier heißt es bei Johannes lediglich: „Es fand ein Mahl statt“ – nichts von Brot und Wein, nichts von Tischsegen und Wandlungsworten, keine lange Tischrede, keine Regierungserklärung des Messias, sondern Liebe, die sich zeigt in der Fußwaschung und sich wenige Stunden später verströmt am Kreuz. Mitten bei der heiligen Handlung, in der Feier des allerheiligsten Sakraments des Altares, krempelt Jesus die Ärmel hoch, er legt sein Gewand ab und bindet sich eine Schürze um. Der Herr der Kirche leistet Sklavendienst, alles andere als hochwürdig, eher merkwürdig für Petrus, der den Sinn nicht begreift, vor allem aber sehr, sehr liebenswert für uns alle.

Chiesa del grembiule: Kirche der Schürze. Beim Letzten Abendmahl hat Jesus gleichsam als priesterliche Dienstmontur die Schürze eingeführt. Die erste heilige Messe feiert Jesus im Arbeitskittel. Er gibt sich die Blöße, im Service der Welt zu arbeiten und aufzugehen: Denn bei Johannes ist die Fußwaschung der Kern des Abendmahls. Für den Evangelisten ist das – besser: der Allerheiligste – Jesus mit der Schürze, nicht oben über allen, sondern ganz unten für alle.

Eucharistie und Priestertum zeigen die Spannung zwischen Stola und Schürze. Gerade in dieser Zeit, da wir Richtungskämpfe in der Kirche beklagen, stellen wir fest: Es geht eigentlich um die Frage, wie Liturgie und Caritas zueinander stehen. Zugleich wird uns Bischöfen, Priestern und Diakonen, aber auch allen Gläubigen der Spiegel hingehalten: Wie bringe ich die Schürze Jesu zusammen mit der Stola der Kirche? Wie gehe ich damit der um, dass die Stola immer mehr die Schürze verdrängt hat, dass die „Praxis der Schürze“ der „Dogmatik der Stola“ offensichtlich unterlegen ist? Heutzutage scheint die Stola höher im Kurs als die Schürze. Haben wir Angst, die Schürze anzulegen, weil sie uns mit dem vermeintlichen Schmutz der Welt in Berührung bringt, weil damit das Risiko verbunden ist, dass wir uns Hände und Füße schmutzig machen?

Seit einigen Jahren ist in Rom vor allem die Kirche der Schürze am Werk. Papst Franziskus geht am Gründonnerstag in ein Gefängnis, in ein Krankenhaus, kurz: an die Peripherie, er legt sein Messgewand ab und bindet sich eine Schürze um. Er will nicht, dass die Gefangenen vor ihm auf die Knie fallen, sondern er selbst geht in die Knie, um ihnen die Füße zu waschen. Das ist mehr als eine Geste der Liturgie. Papst Franziskus zeigt, was Kirche der Schürze ist:

einer, der nicht im Apostolischen Palast wohnt, sondern im Gästehaus,

einer, der nicht mit der Karosse fährt, sondern auch mal den Bus nimmt,

einer, dessen Worte manchmal rustikal klingen, aber doch verständlich, einladend und freundlich sind.

Vor 38 Jahren hat die Kirche mir die Stola angelegt, zunächst als Diakon, dann als Priester. Gerade am Anfang war ich mächtig stolz darauf. Im Laufe der Zeit wird mir aber immer klarer, dass der göttliche Menschensohn mich in seine Nachfolge gerufen hat, nicht nur um festliche Gottesdienste zu feiern, sondern um im Service der Welt, im Dienst für die Menschen zu arbeiten. Kirche der Schürze: Darum geht es auch und gerade für uns Priester. Allein die Schürze, mit der Jesus beim Abendmahl den Jüngern die Füße wusch, berechtigt uns dazu, die Stola anzulegen und den Menschen in Jesu Namen den Zuspruch zu geben: „Das ist mein Leib. Das ist mein Blut. Tut dies zu meinem Gedächtnis.“

Nach der Pandemie-Pause werden wir jetzt wieder die Fußwaschung erleben. Das ist mehr als eine Zeremonie, mehr als ein Ritual. Es deutet die Lebensform der Kirche. Ich freue mich sehr, dass wir zwölf Menschen gewinnen konnten, sich die Füße waschen zu lassen: Frauen und Männer aus dem Kontext von Corona, Personen, bei denen die Pandemie Spuren hinterlassen hat. Sie kommen von der Caritas (CAB), dem Krankenhaus und der Notfallseelsorge. Und in der Gruppe ist auch die Flüchtlingshilfe vertreten, ein Afrikaner und ein Araber, die selbst geflüchtet sind. Jetzt kümmern sie sich um Menschen, die Gefahr und widrige Umstände, besonders der Krieg, zu uns getrieben haben. Unter den vielen Krisenherden sticht derzeit besonders die Ukraine heraus. Es ist hart, dass Frauen mit ihren Kindern und auch Senioren aus ihrem Heimatland entwurzelt werden – durch den brutalen Krieg eines Aggressors, der Putin heißt. Die riesige Welle der Solidarität zeigt, dass Jesu Wort Kraft hat: „Was ihr einem/einer meiner geringsten Brüder/Schwestern getan habt, das habt ihr mir getan.“ (Mt 25,40) Schon jetzt herzlichen Dank für Ihre Spende bei der Gabenbereitung, die unseren ukrainischen Projektpartnern direkt zugutekommen wird. Vergelt’s Gott!